Beim Griechen
Ein wunderbar geschriebener Artikel
aus dem Zeit Magazin, der sich zu lesen lohnt
Gourmetkritiker Wolfgang Siebeck testet die griechische Küche.
Er reist nach Athen und stellt erfreut fest, dass es dort so viel mehr gibt als Demonstrationen und Fetakäse : Ich erlaube mir die herrlichen Sätze zu färben :-)
Wenn ich aus dem Hotelfenster blicke, sehe ich die Athener
Bevölkerung demonstrieren. Dazwischen schläft und wuselt ein Rudel
Hunde, freundliche Tiere, die durch die rasenden Autokolonnen
schlendern, unter schlauer Beobachtung der Ampelphasen. Seit ich letztes
Jahr die Steine fliegen gesehen habe, die von den Wutbürgern Kairos
geworfen wurden, fürchte ich mich vor demonstrierenden Massen. Aber der
Athener Syntagma-Platz ist nicht der Tahrir-Platz, das erkenne ich an
den Plakaten mit griechischer Schrift, die die Demonstranten hier in die
Luft halten. Wenn alles gut gegangen wäre, hätte ich auf dem Gymnasium
Griechisch gelernt. Aber es ging nicht gut, und so kann ich nur hoffen,
dass auf diesen Plakaten nicht etwa steht
»Siebeck, go home!« . Uns Deutsche mögen sie zurzeit nicht sehr.
Man merkt es an Kleinigkeiten. Zum Beispiel der Taxifahrer. Er hat
seine Kindheit in Stuttgart verbracht, wo seine Eltern das Geld
verdienten, mit dem sie sich danach in Athen zur Ruhe setzten. Wenn er
auf Frau Merkel zu sprechen kommt, entlockt er seinem Mercedes ein paar
zusätzliche Drehzahlen (obwohl er längst schneller fährt als erlaubt)
und faucht ihren Namen. Als weiteres Zeichen der Geringschätzung
deutscher Kultur registriere ich, dass das Fernsehen meines
Fünf-Sterne-Hotels (des
Grande Bretagne ) nur einen deutschen Sender im Repertoire hat, und zwar Deutsche-Welle-TV.
Es wäre ungerecht, mich in den aktuellen Knatsch zwischen Deutschland
und Griechenland hineinzuziehen. Ich bin mit den allerbesten Absichten
nach Athen geflogen. Griechisches Essen will ich loben; jeder
Rohkostsalat aus Zwiebeln, Tomaten und Fetakäse – vor dem ich zu Hause
Reißaus nehme – soll ein Anlass sein, die griechische Nationalhymne
anzustimmen.
Türken mögen die Griechen übrigens noch weniger als Deutsche. Sie
hatten nicht nur bis 1862 einen deutschen König als Staatsoberhaupt –
Otto wurde den Griechen einfach oktroyiert wie heute der
Milliardenschirm –, zuvor hatten schon die Osmanen das Land 400 Jahre
lang besetzt. (Was Sarrazin unserem Vaterland prophezeit.)
Am Frühstücksbuffet meines Hotels sieht man die Folgen der Besatzung.
So wie man in Athen unserer Sommerzeit um eine Stunde voraus ist, so
isst man auch um eine Stunde orientalischer. Damit meine ich nicht nur
das sanft-süße Halwa, die Karamellcreme und die gekochten Früchte, die
man gern zum Frühstück addiert, sondern diesen wunderbar fetten Jogurt
mit gekochten und enthäuteten Trauben.
2500 Jahre und immer vorneweg! Was der Besucher dieser erstaunlich
sauberen Stadt als Erstes lernt, ist die Bedeutung Athens in der
europäischen Geschichte. Vorher gab es nichts. Und danach nur
Imitationen. Griechisch war die erste Sprache, die man schreiben konnte.
Und das erste Kochbuch war ein Bestseller im antiken Athen. Die Römer
ahmten nur nach, was sie vorfanden, als sie Griechenland besetzten und
griechische Köche beschäftigten. Und schon gar nicht hat die türkische
Küche die Essgewohnheiten der Griechen beeinflusst, es war nämlich
umgekehrt. »Als die asiatischen Horden das Fleisch noch unter dem Sattel
weich ritten...«, diese bekannte Floskel wird von der Kochbuchautorin
Chrissa Paradissis als Beweis dafür angeführt, dass hier nicht nur
Philosophie, Physik und Demokratie erfunden wurden.
In der
Kentrikí Agorá , zu Deutsch
Zentralmarkthalle, lässt sich das Ergebnis bewundern. Dort muss man
gewesen sein, und sei es, um Vegetarier zu werden: kilometerlange Gänge,
die rechts und links mit Fleischteilen dekoriert sind, Lammherden,
zerhackt, zerschnitten, zur Schau gestellt, um den Besucher daran zu
erinnern, dass das Dasein ein Gemetzel ist und nur erträglich wird,
indem die Köpfe, das Gedärm, Herz, Leber, Hoden, Keulen und Füße auf
gekonnte Art ins Essbare verwandelt werden. Ein minotaurisches Labyrinth
aus Fett, Muskeln, Blut und Sehnen. Sensibelchen, die hier den Ausgang
nicht finden, brauchen einen Psychologen oder einen Schnaps
Aber mitten in dieser Markthalle existiert eine Kneipe (Taverne), wo
man 24 Stunden am Tag etwas Warmes zu essen kriegt, das
Papandreou . Dieser moderne Kubus im karnivorischen Umfeld scheint auf den ersten Blick nicht einladend, ist aber mit
Vatier
in den Pariser Markthallen der sechziger Jahre zu vergleichen. Da
sitzt man primitiv und isst authentische Hausmannskost. Ab und zu kommt
ein Metzger mit blutbeschmierter Schürze, der wenige Meter vor den
großen Fenstern tote Tiere zerteilt. Hier lernt der Tourist das Ritual
griechischer Mahlzeiten kennen, dem er auch in bürgerlicheren
Restaurants nicht entkommt. Und warum auch? Verglichen mit unserem
Ein-Teller-Ritual ist es geradezu raffiniert.
Die erste große Beratung findet bei der Wahl der Vorspeisen statt. Da
sollte man nicht pingelig sein und für vier Personen sechs Vorspeisen
bestellen. Dazu gibt es nur Ouzo mit Wasser zu trinken. Ouzo, der
Anisschnaps, wird in Miniflaschen serviert. Erst mit den Hauptgerichten
kommt der Wein. Da hat man den besten Teil des Menüs hinter sich
gebracht. Je nach der Kategorie des Restaurants sind das mehr oder
weniger raffinierte Vorspeisen wie Fischrogenpüree, kleine Muscheln,
eingelegte Anchovis, gebratene Sardinen, eingebackener Stockfisch,
Auberginenmus, Spinatauflauf, Oktopussalat, Lammwürste und Kalbsklopse
im Sauerkrautmantel. Es existieren davon hundert Variationen, je nach
Landschaft und nach Talent des Kochs. Ob die Sitte, dazu keinen Wein,
sondern diesen trüben Schnaps zu trinken, einen Sinn ergibt, muss der
Tourist selber herausfinden. Die Hauptgerichte sind größtenteils in
Tomatensauce gegart oder damit übergossen, was nur von Küchenchefs mit
feiner Zunge gemeistert wird, die genauso selten sind wie bei uns. Die
aber können dann sogar der unvermeidlichen Aubergine einen Wohlgeschmack
abgewinnen. Süßspeisen haben keine Ähnlichkeit mit den künstlerischen
Arrangements unserer Konditoren, sondern sind rustikal, aber
unwiderstehlich lecker.

Danach empfiehlt sich der obligate Aufstieg zur Akropolis.
Mit dem
Taxi (das in Athen billig ist) kann man bis dorthin fahren, wo
japanische Invasoren ihre Kameras ausprobieren. Die letzten 200 Meter
klettere ich über Stein und Marmor
(»Don’t touch the marble«)
zum ältesten Symbol europäischer Kultur empor. Passendes
Schuhwerk ist unbedingt erforderlich! Wie beim Kölner Dom, der
Frauenkirche oder wo sonst der Geist der Antike weht, banalisieren
Gerüste und Kräne den feierlichen Eindruck. Auffallend auch hier, wie
ungewöhnlich gepflegt das Areal ist, trotz der vielen Schulklassen.
Nur 400 Meter entfernt, unterhalb des heiligen Felsens, ist 2007 das
neue Akropolismuseum gebaut worden. Es ist hell und luftig und enthält
die wertvollen Trümmer, welche Zeugnis ablegen von der Größe Athens. An
das unvorteilhafte Grau der Wände muss man sich gewöhnen; mit dem
Eintrittspreis von zwölf Euro versucht der Staat den Bankrott
hinauszuschieben.
Unter dem allgemeinen Sparen leidet vor allem die Gastronomie, halb
leere Restaurants verbreiten nicht gerade jene orgiastische Stimmung,
die der Tourist in einer griechischen Taverne erwartet. Im
Café Avissinia
hat das wenig gestört. Diese Kneipe befindet sich inmitten des
Flohmarkts im Stadtteil Plaka. Eine Schatzkammer, auf deren zwei Etagen
Werke der Athener Boheme zu bewundern sind und an den Wochenenden
Livemusik gespielt wird. Die Küche hat viel zu bieten, von Vorspeisen
bis zu scharfen Verdauungsschnäpsen. Das Personal ist, wie überall in
der Stadt, von großer Herzlichkeit, die Preise sind niedrig, und wer
eine Duellpistole braucht, findet welche an den Ständen vor der Tür. Die
Taverne ist einmalig und repräsentiert authentische griechische Küche,
wie es keine Operninszenierung besser könnte.
Wie deren verfeinerte, moderne Version aussehen kann, erfährt man bei
Papadakis
im eleganten Kolonaki-Viertel. Dort sind die engen, steilen
Straßen mit Orangenbäumen gesäumt, und so mancher Hausbesitzer hat das
Nachbarhaus gekauft und dessen oberstes Stockwerk abreißen lassen, damit
er einen besseren Blick auf die Akropolis hat. Das kleine Restaurant,
in dem nicht selten Regierungsmitglieder gesehen werden, macht bei aller
Modernität einen bescheidenen Eindruck.
Nur die weißen Tischtücher –
hier in der Gastronomie so selten wie Männer mit Krawatten – und die
kostbaren Blumengebinde deuten auf das Besondere hin. Erst wenn man die
verschiedenen Vorspeisen probiert hat, ahnt man, dass der Ehrgeiz der
Köche groß sein muss. Da sind die Stücke vom Oktopus in Honig gegart,
gibt es das Fleisch von Seeigeln, perfekte Babycalamares, gebackene
Shrimps im Salat, was alles – das muss auch gesagt werden – deutlich
feiner schmeckt als die Hausmannskost in den Tavernen. Spätestens wenn
man sieht, wie Franzosen am Nachbartisch eine riesige Languste
verzehren, und hausgemachten Erdbeerlikör aus edlen Flakons zum Dessert
trinkt, wird einem bewusst, dass auch in Athen die Verfeinerung möglich
ist.
Modern auf großstädtische Weise geht es im
Vlassis
zu, einer Oenotheka. Nicht die tadellose Küche ist hier der
Mittelpunkt, sondern die Weinkarte. Sie bietet einen Überblick über
griechische Weine aus den verschiedensten Regionen, zwischen denen ab
und zu ein paar große Franzosen auftauchen wie
Château Rayas und
Coulée de Serrant
. Das sind dann auch die Flaschen, welche den hier sonst selten
strapazierten Etat sprengen.
Nur den harzigen Retsina haben sie nicht.
Er ist aus der Mode gekommen (und wahrscheinlich auch nicht
EU-kompatibel); niemand scheint ihn zu vermissen.
Die Hochpreiskategorie erwartet der Gast zu Recht im besten Hotel der Stadt, wo wir wohnen, dem
Grande Bretagne
. Es besitzt von seinem Speisesaal im achten Stock den
spektakulärsten Ausblick auf die nachts beleuchtete Akropolis. In warmen
Nächten genießt man das Spektakel sogar unter freiem Himmel. Wenn dann
von unten das Rauschen des Großstadtverkehrs emporbrandet, begleitet vom
gelegentlichen Bellen eines verschlafenen Hundes, fragt sich der
zufriedene Gast bei seinem Syrah aus Mazedonien, was in den
Spiegel gefahren sein mag, einen so angewiderten Bericht über diese schöne, gepflegte Stadt zu veröffentlichen.
Vielleicht hat dem Korrespondenten das Essen im
Grande Bretagne
nicht geschmeckt. Was durchaus denkbar ist, weil hier versucht
wird, die authentische mit der internationalen Küche zu vereinen. Das
geht schon mal schief, weil das Elaborierte der Haute Cuisine in
Verbindung mit einer Küchen-Folklore in keinem Land ein harmonisches
Resultat ergibt. Da wird zu lange geschmort oder zu fad gewürzt und das
Gemüse in Sauce ertränkt. Das ist in diesem Dachgartenrestaurant des
Hotels nicht anders als in ähnlich prominenten Häusern in Berlin, Paris
und Zürich.
Aber wenige Städte Europas haben diese weiche, mediterrane Atmosphäre
wie Athen, wo die Ehrengarde der Evzonen in ihren putzigen Röckchen
ihre stündliche Wachablösung vor dem Parlament zelebriert wie nach einer
Choreografie Robert Wilsons, unverständlich exaltiert, also pittoresk.
Wenn dann tagelang nicht demonstriert wird, man sich an den Ouzo gewöhnt
hat, wenn die Sonne wärmt, während unser Land im Regen ertrinkt, dann
scheint die Zukunft Griechenlands längst nicht so düster, wie die
deutschen Medien meinen. Unsere Rentner, die auf den Balearen keinen
Platz mehr finden, könnten in Athen überwintern. Ihnen muss auch die
griechische Sprache keine Schwierigkeiten machen. Sie sollten einfach
wie Archimedes nackt durch die Straßen rennen und »Heureka!« rufen.
Hotel Grande Bretagne, Syntagma-Platz, Tel. +30-210/3330000
Taverna Papandreou, in der Kentrikí Agorá (Markthalle), Aristogeitonos 1
Café Avissinia, Kinetou 7, Tel. +30-210/3217047
Restaurant Papadakis, Fokilidou 15, Tel. +30-210/3608621
Restaurant Vlassis, Maiandrou 15, Tel. +30-210/6463060